Einführung
Diese Seite bietet Betroffenen – natürlichen Personen und Unternehmen – einen Überblick über ihre Rechte im Schweizer Strafverfahren, insbesondere bei Wirtschaftsstraftaten und in regulierten Branchen. Sie erläutert verständlich grundlegende Verfahrensgarantien (Recht auf faires Verfahren, rechtliches Gehör, Akteneinsicht etc.) und spezielle Aspekte bei strafrechtlicher Verfolgung von Unternehmen.
Rechtsgrundlagen sind vor allem die Schweizer Strafprozessordnung (StPO), das Strafgesetzbuch (StGB), die Bundesverfassung (BV) sowie die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).
Verfahrens-rechte der beschuldigte Personen
1. Recht auf Aussageverweigerung
Als beschuldigte Person dürfen Sie zu jeder Zeit im Verfahren die Aussage verweigern – ohne Angabe von Gründen. Das bedeutet, Sie müssen weder bei der Polizei noch bei der Staatsanwaltschaft oder vor Gericht Angaben machen. Dies gilt sowohl für belastende als auch für entlastende Aussagen. Aus dem Schweigen dürfen keine negativen Schlüsse gezogen werden (Art. 113 Abs. 1 StPO).
2. Recht auf Verteidigung
Sie haben von Anfang an das Recht auf einen Verteidiger Ihrer Wahl. Bei schweren Straftaten (z. B. drohende Freiheitsstrafe über 1 Jahr oder Untersuchungshaft über 10 Tage) muss die Behörde Ihnen einen Pflichtverteidiger stellen (Art. 130 ff. StPO). Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können, übernimmt unter Umständen der Staat die Kosten. Auch Unternehmen dürfen rechtlich vertreten werden.
3. Recht auf Akteneinsicht
Beschuldigte und ihre Anwälte dürfen die Verfahrensakten einsehen (Art. 101 StPO). Das Recht besteht in vollem Umfang spätestens nach der ersten Einvernahme und der Sicherung der wesentlichen Beweismittel. So können Sie sich gezielt verteidigen. Bei Verweigerung der Akteneinsicht können Sie Beschwerde einlegen.
4. Recht auf ein faires Verfahren
Sie haben Anspruch auf ein faires, öffentliches und zügiges Verfahren durch ein unabhängiges Gericht (Art. 29 ff. BV und Art. 6 EMRK). Dazu gehören das rechtliche Gehör, ein unparteiischer Richter, gleiche Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung, sowie ausreichende Zeit und Mittel zur Verteidigung.
5. Unschuldsvermutung
Sie gelten so lange als unschuldig, bis Ihre Schuld rechtskräftig bewiesen ist (Art. 32 Abs. 1 BV; Art. 10 StPO). Die Beweislast liegt ausschliesslich bei der Strafverfolgungsbehörde – Sie müssen sich nicht selbst entlasten.
6. Recht auf Dolmetscher und Übersetzungen
Verstehen Sie die Verfahrenssprache nicht, haben Sie Anspruch auf einen unentgeltlichen Dolmetscher für alle Vernehmungen sowie auf Übersetzung wichtiger Dokumente (Art. 68 StPO). Auch schriftliche Entscheide müssen in verständlicher Sprache zur Verfügung gestellt werden.
7. Recht auf Rechtsmittel (z. B. Beschwerde)
Gegen Verfahrenshandlungen der Strafbehörden können Sie Beschwerde führen (Art. 393 ff. StPO). Dies betrifft insbesondere Anordnungen wie Hausdurchsuchungen, Akteneinsichtsverweigerung oder Anklageerhebung. Die Beschwerde ist fristgebunden – meist 10 Tage ab Zustellung.
8. Recht auf Siegelung (Art. 248 StPO)
Wenn bei einer Durchsuchung (z. B. Ihrer Wohnung, Ihres Büros oder Ihrer IT-Systeme) Unterlagen, Computer, Handys oder andere Datenträger beschlagnahmt werden, dürfen Sie deren Siegelung verlangen, bevor die Behörden deren Inhalt prüfen.
Was bedeutet Siegelung?
Die beschlagnahmten Gegenstände oder Daten werden versiegelt (physisch oder digital) und dürfen nicht ausgewertet werden, bis ein Gericht über die Zulässigkeit der Einsicht entscheidet. So können z. B. Anwaltspost, Geschäftsgeheimnisse oder besonders private Informationen geschützt werden.
Ablauf bei Siegelung:
Sie müssen die Siegelung ausdrücklich verlangen – am besten sofort vor Ort.
Die Behörde muss die Siegelung respektieren und die Daten in sicherer Verwahrung halten.
Die Staatsanwaltschaft kann die Entsiegelung beantragen.
Über die Entsiegelung entscheidet in der Regel das Zwangsmassnahmengericht.
Sie können im Entsiegelungsverfahren Begründungen und Beweismittel einreichen.
Wichtig:
Das Siegelungsrecht ist nicht auf Anwälte oder Unternehmen beschränkt – jede beschuldigte Person kann es geltend machen. Allerdings muss es aktiv eingefordert werden. Ohne Antrag darf die Behörde direkt Einsicht nehmen.
Praxistipp:
Es empfiehlt sich, schon vor einer möglichen Durchsuchung mit einem Strafverteidiger eine Strategie für den Umgang mit heiklen Daten und die Formulierung eines Siegelungsantrags vorzubereiten. Unternehmen sollten intern klären, wer im Fall der Fälle die Siegelung vor Ort verlangt.
Wichtige Tipps zur Verteidigung
Früh anwaltlichen Rat einholen: Ein Strafverteidiger kann schon vor der ersten Einvernahme eingeschaltet werden und beraten. Fehler am Anfang des Verfahrens sind oft irreversibel.
Keine unbedachten Aussagen: Beschuldigte müssen keine Fragen beantworten; am besten verweigern Sie ohne Rechtfertigung. Sie dürfen auf Fragen mit „Ich mache hierzu keine Angaben“ reagieren. Ihre Aussageverweigerung darf nicht gegen Sie verwendet werden.
Umgang mit Hausdurchsuchung, Vernehmung und Beschlagnahme: Lassen Sie sich einen Durchsuchungsbefehl zeigen. Ohne richterlichen Befehl darf die Polizei Räume nicht einfach durchwühlen. Sie haben das Recht, bei der Durchsuchung dabei zu sein und eine Liste beschlagnahmter Gegenstände zu verlangen. Beweisen Sie die Relevanz Ihrer Unterlagen (z.B. Buchhaltung) und fordern Sie, wenn möglich, das Siegeln (Verschluss) nicht relevanter Daten. Holen Sie sich sofort nach einer Durchsuchung juristischen Beistand, um die Rechtmäßigkeit zu prüfen.
Beweissicherung und Dokumentation: Sammeln Sie selbst alle relevanten Unterlagen und Beweise (E-Mails, Verträge, Vertriebslisten etc.), sobald bekannt ist, dass Sie oder Ihr Unternehmen in ein Verfahren verwickelt sind. Legen Sie ein Verzeichnis an und notieren Sie wichtige Termine und Kontakte.
Professionelle Kommunikation: Informieren Sie nur nach Rücksprache mit Ihrem Anwalt öffentlich. Bei Unternehmen empfiehlt sich ein abgestimmtes Statement (z.B. „kein weiterer Kommentar bis …“). PR-Berater oder Litigation-PR-Experten können helfen, Botschaften zu formulieren, um Image- und Reputationsschäden zu begrenzen. Vermeiden Sie Spekulationen und bewahren Sie Vertraulichkeit über das Ermittlungsverfahren.
Besonderheiten bei Strafverfahren gegen Unternehmen
Unternehmen können ebenso strafrechtlich belangt werden (Art. 102 StGB). Die Vorschrift sieht zwei Konstellationen vor: Entweder wurde eine Straftat im Rahmen der Geschäftstätigkeit begangen, die mangels zurechenbarer Person nur dem Unternehmen vorgeworfen wird (Subsidiarität, Organisationsverschulden), oder es handelt sich um bestimmte Delikte (Korruption, Geldwäscherei, Kartellabreden u.a.), bei denen das Unternehmen direkt haftbar wird, weil es keine angemessenen Compliance-Vorkehrungen getroffen hat. Unternehmen können maximal mit einer Busse bis 5 Millionen Franken belegt werden und müssen unrechtmässig erzielte Gewinne abliefern.
Compliance-Systeme und interne Untersuchungen können helfen, Straftaten zu verhindern oder frühzeitig aufzudecken. Führen Unternehmen interne Untersuchungen durch, fällt dabei viel sensible Information an; Mitarbeiter sind gesetzlich zur Mitwirkung verpflichtet, gleichzeitig schützt das nemo-tenetur-Prinzip sie vor unfreiwilliger Selbstbelastung. Unternehmen müssen dabei sorgfältig vorgehen, um die Rechte der Betroffenen nicht zu verletzen.
FAQ
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Sobald Strafverfolgungsbehörden konkreten Tatverdacht gegen Sie erheben und Ermittlungen (z.B. Vernehmung, Hausdurchsuchung) einleiten, gelten Sie als Beschuldigter. Oft erhalten Sie dazu eine Mitteilung oder eine Vorladung. Formal ist man Beschuldigter, wenn die Behörde Sie als Verantwortlichen einer Straftat betrachtet.
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Ja. Erscheinen Sie zu einer polizeilichen oder staatsanwaltlichen Vorladung, um Zwangsmassnahmen (Busse, Vorführung) zu vermeiden. Weigern Sie sich, droht Ihnen eine Busse und die Möglichkeit der polizeilichen Vorführung zur Vernehmung.
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Sie sind nicht verpflichtet zu antworten. Legen Sie eher Ihr Schweigerecht ein, als auf Fragen zu lügen. Rechtlich besteht keine Pflicht zur Wahrheit, solange Sie niemand anderen dadurch fälschlich belasten. Unwahre Beschuldigungen anderer sind aber strafbar. Einfaches Wegducken („keine Aussage“) ist sicherer.
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In der Regel bezahlt der Beschuldigte den Anwalt. Kann sich der Beschuldigte den Anwalt nicht leisten (und ist eine Verteidigung notwendig), übernimmt der Staat die Anwaltskosten. Wird der Beschuldigte freigesprochen, trägt der Kanton sämtliche Verteidigungskosten.
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Ein Strafverfahren gegen eine Firma läuft ähnlich wie gegen eine natürliche Person: Die Firma wird angeklagt und vertritt sich durch einen Unternehmensvertreter (z.B. Geschäftsführer, Verwaltungsrat). Sie und Ihr Anwalt können Akteneinsicht beantragen und an Verhandlungen teilnehmen. Bei Verurteilung drohen Geldbussen (bis CHF 5 Mio) und Einziehung von Gewinnen. Anders als bei natürlichen Personen gibt es keine Festnahme, wohl aber Durchsuchungen und Beschlagnahmen von Geschäftsräumen. Compliance-Nachweise können strafmindernd wirken.
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Als Beschuldigter haben Sie ein Recht auf Einsicht in die Verfahrensakten. Spätestens nach der ersten Vernehmung und der Sammlung der wesentlichen Beweise muss Ihnen die Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht ermöglichen. Stellen Sie hierzu einen formlosen Antrag oder beauftragen Sie Ihren Anwalt, und legen Sie dar, dass Sie diese Unterlagen zur Wahrung Ihrer Rechte benötigen.
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Eine Hausdurchsuchung ist eine Zwangsmassnahme, die nur mit richterlicher Anordnung oder bei Gefahr im Verzug erlaubt ist. Sie müssen diese dulden, haben aber das Recht, einen Anwalt beizuziehen und nichts auszusagen.
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Kooperation kann strafmildernd wirken – etwa durch freiwillige Offenlegung, interne Ermittlungen oder Rückzahlungen. In Fällen von Unternehmensstrafrecht kann auch eine Selbstanzeige sinnvoll sein. Aber: Tun Sie das nie ohne anwaltliche Beratung!
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Ja, in vielen Fällen ist das sinnvoll – etwa zur Klärung der internen Sachlage oder Vorbereitung auf Behördenkontakte. Wichtig: Dabei sind die Rechte der Mitarbeitenden und rechtliche Schranken (z. B. Aussageverweigerung) zu beachten