Your Ressource.

Blog

Entwicklungen im Nebenstrafrecht.

Freispruch einer Journalistin wegen Herstellung und Besitzes einer 3D-gedruckten Waffe

Urteil 6B_650/2022 vom 12. Dezember 2024)

Sachverhalt: Eine Journalistin eines öffentlich-rechtlichen Senders (RTS) liess bei einem Privatanbieter die Teile einer 3D-Pistole bestellen. Im Rahmen eines Recherchedossiers über 3D-gedruckte Waffen baute sie diese Waffe – ohne wesentlichen Bauteil (Schlagbolzen) – in der Redaktion zusammen. Anschliessend transportierte sie die Pistole (ohne Schlosskasten) in einer Bahn von Genf nach Lausanne. Für Erwerb, Besitz und Transport fehlten die notwendigen waffenrechtlichen Bewilligungen. Die Genfer Behörden verurteilten sie (ohne Vollzug einer Strafe), worauf sie Rechtsmittel ergriff.

Rechtliche Fragen und Normen: Im Raum stand vor allem die Anwendung des schweizerischen Waffengesetzes (WaG). Danach sind Erwerb, Besitz und Beförderung von Schusswaffen oder wesentlichen Waffenteilen nur mit behördlicher Genehmigung zulässig (vgl. weitere Informationen auf unserer Fokusseite Waffenrecht). Ein weiterer Prüfstein war das Spannungsverhältnis zum Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 10 EMRK, Art. 16 BV). Zwar enthält das Schweizer Strafrecht keine pauschale Privilegierung von Journalisten, doch kann bei der Strafzumessung und Rechtsanwendung auf verfassungsrechtliche Ausnahmen abgestellt werden. Zu diskutieren waren insbesondere Verhältnismässigkeit und Tatunwert (z. B. Art. 17 StGB „Rechtfertigender Notstand“ oder fehlende Schuld infolge legitimen Öffentlichkeitsinteresses).

Begründung des Gerichts: Das Bundesgericht bestätigte , dass die Journalistin die Tatbestandsmerkmale des unbewilligten Waffenhandels bzw. -besitzes erfüllt hatte. Es betonte jedoch, dass ihre Handlung ausschliesslich im Rahmen journalistischer Recherche erfolgte. Unter Hinweis auf Art. 10 EMRK stellte das Gericht klar, dass auch reine Erhebungen und Recherchetätigkeiten vom Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit erfasst sind. Die Journalistin habe sich nicht strafbar gemacht, weil die Verhängung einer Strafe die Pressefreiheit unverhältnismässig eingeschränkt hätte. Das Gericht verwies auf internationale Rechtsprechung, wonach die Informationsfreiheit nicht allein die Publikation, sondern auch die für investigativen Journalismus nötigen Vorbereitungshandlungen schützt. Zudem hielt das Bundesgericht fest, dass von der hergestellten Waffe keine reale Gefahr ausgegangen sei: Sie war stets getrennt vom wesentlichen Schlagbolzen gelagert und lediglich zu Demonstrationszwecken in einer Schublade aufbewahrt worden. Insgesamt überwog das Informationsinteresse der Öffentlichkeit den durch die Straftat geschützten Rechtsgütern, so daß der Tatbestand infolge überragender Grundrechtswahrung keine Strafe nach sich zog.

Rechtliche Bewertung: Der Fall illustriert die Grenze zwischen formeller Gesetzesanwendung und Grundrechteabwägung. Formell wäre ein Verstoss gegen das WG gegeben, weil keine Waffenbewilligung vorlag. Materiell gelangt das Bundesgericht jedoch zu einer Beschränkung des Strafanspruchs durch Anwendung der Verhältnismässigkeit: In Ausübung einer Grundrechtstätigkeit führten die weiteren Strafnormen ins Leere. Ein strafbefreiender Rechtfertigungsgrund im engeren Sinne (z. B. Art. 36 StGB: übergesetzlicher Notstand) war nicht einschlägig, weil kein unmittelbares Rechtsgut bedroht war. Vielmehr griff die Sprachregelung „schutzwürdiges Informationsinteresse“: Die Pressefreiheit (§ 16 BV, Art. 10 EMRK) verlangt einen sehr weiten Schutz, der auch vorbereitende Handlungen erfasst. Hier war der öffentliche Aufklärungswille (Gefahrenpotenzial von 3D-Waffen) deutlich gegeben. Anders als bei reinen Gewaltdelikten kommt es somit bei Journalisten auf Abwägung an. Die Praxis erinnert an den Grundsatz „journalists are not above the law – but not without protection“: Die Bundesrichter bekräftigten, dass Medienschaffende nicht unbehelligt von rechtlichen Vorschriften sind, daß aber diese Grundrechte gemäss Verfassungsauftrag in die Rechtsanwendung einzubinden sind.

Verfassungsrechtliche/EMRK-Bezüge: Massgeblich war Art. 10 EMRK (Meinungsfreiheit) analog auch auf vorbereitende Rechercheakte anzuwenden. Daneben wäre Art. 16 BV (Medienfreiheit) denkbar, auf den sich die Beschwerdeführerin jedoch nicht stützte. Die Abwägung erfolgte auf verfassungsrechtlicher Ebene: Erforderlich war, den Eingriff in die Waffengesetze gegen die garantierte Informationsfreiheit zu messen. Dieses Vorgehen entspricht dem Vorrangprinzip (Gewichtetes Grundrecht).

Abschliessende Würdigung: Das Urteil stärkt die Medienfreiheit substanziell, stellt aber einen Einzelfall dar. Kritisch ist die Frage, inwiefern dieses Resultat Nachahmungspotenzial birgt: Die Pressefreiheit kann in künftigen Fällen nicht beliebig als Entschuldigung geltend gemacht werden. Der bundesgerichtliche Freispruch ist dogmatisch nachvollziehbar, weil die Zielsetzung (Öffentlichkeitsaufklärung) legitim war und keinen Schaden verursachte. Er betont jedoch, dass die rechtlichen Grenzen der Recherche unbedingt beachtet werden müssen.