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Entwicklungen im Nebenstrafrecht.

Ermittlungsverfahren gegen Entwickler und Unterstützer der Sarco-Sterbekapsel

Sachverhalt: Die „Sarco“-Sterbekapsel ist eine international diskutierte, druckbare Kapsel, die mittels Stickstoffzufuhr einen tödlichen Zustand der Bewusstlosigkeit herbeiführt. Im Juli 2023 setzte eine US-Bürgerin erstmals in der Schweiz (Kanton Schaffhausen) die Kapsel ein und nahm sich das Leben. Anwesende Angehörige und die Organisation «The Last Resort» wurden daraufhin festgenommen. Neben strafrechtlichen Fragen der Beihilfe/Verleitung (Ar. 115, 24 StGB) wird gegen die Entwickler und Unterstützer von Sarco wegen möglichen Verletzungen des Produktsicherheitsgesetzes (PrSG) und des Chemikaliengesetzes (ChemG) ermittelt. Die Strafverfolgungsbehörden prüfen, ob die Herstellung, Bewerbung oder Bereitstellung der Kapsel strafrechtlich sanktionierbar ist.

Rechtliche Fragen und Normen: Zunächst stellt sich die Frage, welche Rechtsgüter und Vorschriften verletzt sein könnten. Da keine Zulassung als Medizinprodukt vorliegt (Swissmedic stuft Sarco nicht als Heilmittel ein), sind primär das Produktsicherheitsgesetz und das Chemikaliengesetz relevant. Das PrSG (SR 930.11) verbietet gemäss Art. 3 und 8 das Inverkehrbringen von Produkten, die bei bestimmungsgemässer oder vorhersehbarer Verwendung eine Gefahr darstellen. Das ChemG (SR 813.1) regelt u.a. Kennzeichnung und Zulassung von Stoffen. Einführungen oder Importe über gefährliche Chemikalien können sanktioniert sein. In Betracht kommen zudem allgemein strafrechtliche Tatbestände der Sterbehilfe (StGB 115), wenn die Grenznorm des zulässigen Assistenzsuizids überschritten wird. Anklagepunkt für «Entwickler und Unterstützer» ist hier aber primär die Nichtkonformität des Produkts: Etwa unbefugtes Inverkehrbringen eines unsicheren Produktes (PrSG) oder verbotene Verwendung/Einfuhr eines als gesundheitsschädlich eingestuften Gases (ChemG).

Begründung der Untersuchung: Bislang liegt kein veröffentlichtes Urteil vor, vielmehr kommunizierte der Bundesrat seine Rechtsauffassung. Nach Auskunft von Baume-Schneider «erfüllt die Sarco-Kapsel die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts nicht» und die Verwendung von Stickstoff «entspräche dem Chemikaliengesetz nicht». Dennoch bemängeln Juristen, dass die gegen die Kapsel angeführten Vorschriften möglicherweise überdehnt werden: So habe das Bundesgericht bereits klargestellt, dass ein generelles Verbot nur greifen kann, wenn der Tatbestand eindeutig definiert ist. Beobachter weisen darauf hin, dass –das PrSG auf die Kapsel wahrscheinlich nicht direkt anwendbar sei. Dies würde bedeuten, dass mangels spezifischer PrSG/ChemG-Verbote letztlich einzig Art. 115 StGB (Beihilfe zum Selbstmord, zulässig nur ausser eigenem Interesse) einschlägig bliebe. Mit anderen Worten: Solange das Sterbehilfe-Grundrecht (allgemein in Art. 8 und 10 BV verankert, wenn auch nicht ausdrücklich, resp. Menschenwürde Art. 7 BV) beachtet wird, stellt der Bund im Kern die Frage nach dem Strafbarkeitsrahmen, nicht nach generellen Verboten der Suizidmethoden. Wie das Bundesgericht in früheren Fällen betonte, kommt es vor allem auf den Beweggrund und die Zustimmung der Betroffenen an.

Dogmatische Bewertung: Der Fall wirft zentrale Fragen zu Rechtssicherheit und Grundrechten auf. Nach dem Legalitätsprinzip (Art. 1 StGB; Art. 333 StGB) ist ein Verhalten nur strafbar, wenn ein genau definierter Straftatbestand besteht. Da das PrSG und ChemG keine expliziten Regelungen für Sterbehilfegeräte kennen, hätte selbst ein verurteilter Entwickler gute Chancen, dass das Bundesgericht diese Normen analog restriktiv auslegt. Der «Rechtsgüterabwägung» steht insoweit die Verfassungs- und Völkerrechtslage gegenüber: Es gibt kein verfassungsgemässes «Recht auf Sterbehilfe», jedoch ein Recht auf selbstbestimmtes Leben (Art. 10 und 7 BV). Bislang gilt die passive Sterbehilfe (Beihilfe zum Suizid) als erlaubt, aktive Tötung ist verboten. Strafrechtlich wäre aber nicht das Selbstmorden, sondern allenfalls das Einwirken darauf (z.B. Verleitung) sanktionierbar. Die Begründung des Bundesrats deutet daher weniger auf eine neue Strafnorm als auf Strafverfolgungsoptionen für Hilfsleistung beim Suizid hin. Neuere Rechtsgrundlagen wie ein expliziter «StGB Tatbestand Suizidhilfe» existieren in der Schweiz nicht; auch die EGMR-Rechtsprechung (Art. 2 EMRK, Recht auf Leben) stellt nur positive Staatspflichten auf. Somit bleibt es dogmatisch bei einer Auslegungslücke im Nebenstrafrecht.

Abschliessende Würdigung: Das Verfahren zeigt die Schwierigkeiten der strafrechtlichen Reaktion auf neuartige Technologien und ethische Fragen. Die kantonalen Behörden tun gut daran, alle möglichen Strafgesetze zu prüfen. Gleichwohl dürften Umwelt- und Technikrechtsexperten – ebenso wie Rechtswissenschaftler – davon ausgehen, dass weder PrSG noch ChemG dazu geschaffen sind, aktive Sterbehilfe zu verhindern. Indes könnte es politisch notwendig werden, Regelungen zu schaffen (Parlament hat dies bereits überprüft). Dogmatisch gilt: Fehlende Bestimmtheit oder Anwendbarkeit im Rahmen allgemeiner Sicherheitssätze dürfte im Extremfall zu strafrechtlicher Ohnmacht führen, sodass nur die bekannten Bestandteile des StGB (Art. 115 ff.) greifen. Künftig wird wohl vermehrt darüber zu diskutieren sein, ob der Gesetzgeber Spezialtatbestände für Sterbehilfe bzw. „Suizid-Geräte“ schaffen muss, um Klarheit für Strafverfolgung und gesellschaftliche Debatte zu schaffen.